MS ODYSSEE: ein utopisches Hörspiel mit Forschungsauftrag

Veröffentlicht von Rosi Würtz am

Die MS ODYSSEE ist ein schwimmendes Naturarchiv, das so einige Schätze vor einer Klimakatastrophe retten konnte. Um was es sich dabei handelt, erfahrt ihr im Hörspiel!

Hörtipp: Im Hörspiel tauchen Geräusche von großen Tieren auf, die jedoch quasi mit dem Hintergrund verschmelzen. Mit einem Kopfhörer könnt ihr sie erahnen. Um welche Tiere handelt es sich?

Hier auf dieser Seite findet ihr weiteres Infos und das Transkript zum Hörspiel MS ODYSSEE. Das Hörspiel MS ODYSSEE ist im Rahmen der Digitalen Schreibwerkstatt Juli 2021 unter Leitung von Dr. Antonia Rötger, Museum für Naturkunde Berlin, entstanden. Im Juli 2021 drehte sich die Textarbeit um das Thema „Zukunft der Sammlung“.

Den Blick hinter die Kulissen des Museums ermöglichte uns Dr. Jana Hoffmann, Co-Head Science Programme „Collection Future“ am Museum für Naturkunde Berlin. Schreibtrainerin Dr. Antonia Rötger begleitete die kreative Gruppe, in der ich diesen Hörspieltext verfasst habe. Herzlichen Dank an meine Schreibkolleginnen, die mir hilfreiches Feedback zu meinem Text gegeben haben. Ende Oktober 2021 konnte ich den Text endlich vertonen und wünsche allen eine gute Fahrt mit der MS ODYSSEE.

Mehr über das #Experimentierfeld, das #mfnberlin und die Digitale Schreibwerkstatt: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/veranstaltungen/digitale-schreibwerkstatt-zukunft-der-sammlung Außerdem berichte ich auf meiner persönlichen Website über das Making-of MS ODYSSEE.


Transkript zum Hörspiel MS ODYSSEE

Wie jeden Morgen öffnete Pyrrha die Hintertür am Museum für Naturkunde Berlin. Das unscheinbare Portal war bereits in die Jahre gekommen und knarrte bei jeder Bewegung leise vor sich hin. Pyrrha arbeitete gerne hier in dieser Schatztruhe des Wissens. Sie und ihr Team waren zuständig für die Analogisierung von Glasplattenspeichern.

Pyrrha drehte wie immer eine kurze Runde durch das Museum. Im Sauriersaal stand der Giraffatitan mit einer Höhe von 13,27 Metern. Aus einem uralten Datensatz hatte sie den Dinosaurier rekonstruiert und aufgebaut. Jetzt stand er formvollendet vor ihr und sie war schon ein bisschen stolz darauf.

Der Wiederaufbau des Museums war sehr zeitaufwendig: Die leeren Setzkästen füllten sich nur langsam wieder mit ausgestorbenen Lebewesen. Hier hatte alles eine Geschichte, eine Geschichte des Untergangs und der Zerstörung. Doch an diesem Ort wurde Totes erneut greifbar und Pyrrha trug ihren Teil dazu bei. Daten wieder sichtbar und spürbar zu machen, das war eine Mammutaufgabe und Pyrrhas Leidenschaft.

Ein seltsamer Glasspeicher auf dem Labortisch

Heute lag ein sehr seltenes Objekt auf Pyrrhas Arbeitstisch. Eine verstaubte Glasflasche, die vor ein paar Jahren am Spreeufer gefunden worden war. Auf dem robusten, dunkelgrünen Gefäß konnte sie die Aufschrift „MS Odyssee“ entziffern. Es handelte sich um eine Flaschenpost, von einer Forschungsexpedition in die Arktis. Keine weiteren Informationen, nur das Jahr: 2021! Damals schmolz das Eis.

Pyrrha hielt die verschlossene Flasche vorsichtig und ehrfürchtig in ihren Händen. Sie wusste, dass damalige Wissenschaftler*innen mit der Datenspeicherung auf Glas experimentierten. So lag die Vermutung nahe, dass nicht nur der Flascheninhalt Informationen trug, sondern möglicherweise auch das Flaschenglas. Pyrrhas Aufgabe bestand heute darin, das Innere der Flasche zu inspizieren und zu analysieren.

Triniton, ein Assistenzroboter fuhr auf Rollen an ihre Seite und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Triniton war spezialisiert auf die Untersuchung verschlossener Glasgefäße. Mit einem Miniatursauger sammelte er Staubpartikel innerhalb der Flasche. Auf seinem Display erschien prompt das Analyseergebnis: Rußpartikel verursacht durch Verbrennungsmotoren, mit 95%iger Wahrscheinlichkeit die eines Motorschiffes, 21. Jahrhundert. Ein Indiz mehr, dass die Flaschenpost echt sein musste. Nun wollte Pyrrha tiefer gehen, um an das Glasgeheimnis zu kommen:

„Triniton, bitte kratze mir eine Probe von der Flascheninnenseite und bestimme die Zusammensetzung des Materials!“ Triniton wechselte das Instrument an seinem Aktionsarm und legte in gewohnt präziser Weise los.

Herzlich Willkommen auf der MS ODYSSEE

Plötzlich begann die Luft um sie herum zu brodeln, in ihren Ohren sauste es. Pyrrha wurde schwindelig und ihr Labor drehte sich wie in einem Strudel. Sie fühlte eine unheimliche Kraft, die sie in die Flasche hineinzog. Raum und Zeit verschwammen. Sie wurde durchgerüttelt und versuchte sich zu orientieren als sie aus dem Nichts eine angenehme Stimme hörte:

„Herzlich willkommen auf der MS ODYSSEE! Die MS Odyssee ist ein schwimmendes Archiv. Auf der MS Odyssee sammeln wir das gewaltige Wissen des Planeten Erde. Nur kurz zu Ihrer Orientierung: Eine heftige Klimakatastrophe hat uns vom Kurs abgebracht. Wir freuen uns, dass Sie dennoch mit der MS Odyssee auf Forschungsreise gehen wollen.

Die Buchstaben M und S stehen für: Museum Subductum. Subduktion heißt Abtauchen. Wir sind ein abgetauchtes Museum. Genau wie eine Erdplatte unter der anderen Erdplatte abtaucht und mit dem flüssigen Erdkern verschmilzt. Heißer kann Liebe wahrlich nicht sein!

An den Subduktionszonen des Wissens beginnt unsere Forschungsarbeit. Also an den Stellen, wo lebenswichtiges Wissen abtauchen wird, ob wir wollen oder nicht. Wissen geht nun mal verloren! Wir retten, was zu retten ist! Kommen Sie mit an Bord und erleben Sie live das Überleben Ihrer Zukunft!

Wir sammeln echte Objekte von unerlässlichem Wert. Sind auch Sie mutig und neugierig genug, in den Abgrund zu tauchen – hinab zum Wissen, das immer wieder stirbt, um zu leben? Jetzt können Sie noch aussteigen!“

Pyrrha verstand nicht, wie ihr geschah, aber sie spürte, dass hier etwas Großartiges passierte. „Ja, ich will mehr wissen!“ sprudelte aus ihr heraus.

„Schön, dann führen wir Sie jetzt durch unsere Schatzkammer“, antwortete die Stimme. „Folgen Sie uns zu unserem Prachtstück, dem Brachiosaurus Oskar, auch Giraffatitan genannt. Glücklicherweise haben wir auf der MS Odyssee genügend Platz, um diesen Urzeitgiganten in voller Größe aufzubauen. Und wenn Sie genau hinsehen, entdecken Sie sogar Originalteile an dem Knochengerüst.“

Echte Dinosaurierknochen auf der Digitalisierungsstraße

Pyrrha hatte kaum Zeit zu realisieren, dass sie vor den echten Knochen „ihres“ Dinosauriers stand. „Insgesamt haben wir 30 Millionen Objekte, die auf der MS Odyssee als Daten und Originale gesichert wurden. Wahnsinn, nicht wahr?!“

Pyrrha konnte es zwar immer noch nicht glauben, was mit ihr geschehen war, aber ihr ging es gut und sie war begeistert. Sie fühlte, dass sie am richtigen Ort zur richtigen Zeit war. Neben ihr stand eine weiße Säule mit grünen Hieroglyphen: D I G I T A L I S I E R U N G S S T R A ß E! Dann klingelte es an der Säule.

Neugierig nahm Pyrrha den Hörer an der Seite ab. Sie hörte Trinitons Stimme: „Das Analyseergebnis lautet: gewöhnliches Glas ohne Datenspeicher! Soll ich dich jetzt aus der Flasche befreien?“

Und Pyrrha antwortete: „Ne du, lass mal. Hier fühle ich mich wohl.“

„Ok, dann wünsche ich dir viel Spaß im Ozean der Möglichkeiten, bis morgen!“

„Danke, wir sehen uns morgen!“

Credits

  • FREE SOUND EFFECTS BY www.zapsplat.com
  • TIERSTIMMENRCHIV des Museums für Naturkunde Berlin: Rossrobbe + Blauwal by Dr. Ilse Van Opzeeland, Alfred-Wegener Institute Helmholtz Centre for Polar and Marine Research, CC BY-SA, www.museumfuernaturkunde.berlin
Kategorien: Natur + Kultur

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner